Der Arbeitsplatz der Zukunft: Alles virtuell oder was?

„Gehst du ins Büro?“ „Nein, heute nicht!“ Immer mehr Arbeitnehmer arbeiten im Home-Office. Angetrieben vom Wertewandel bei jungen Bewerbern und den technischen Möglichkeiten, kommen Unternehmen ihren Mitarbeitern hier auch gerne entgegen. Sowohl der Belegschaft als auch den Betrieben bringt die Flexibilisierung zahlreiche Vorteile. Dennoch müssen sich insbesondere die Personalabteilung als auch das Management für die Veränderungen rüsten.
Von Tatjana Krieger
Mit der Verlagerung der Arbeit an den heimischen Schreibtisch sind viele Managementregeln nicht mehr anwendbar. Das gilt vor allem dafür, wie Leistung gemessen wird. Gerade Firmen in Deutschland sind noch geprägt von einer Präsenzkultur. Wer lange bleibt, als Letzter ausstempelt, der erhält die Anerkennung seines Chefs „Hier ist ein Umdenken notwendig, Führungskräfte müssen ihre Mitarbeiter an den Ergebnissen messen, nicht an den Arbeitszeiten“, sagt dazu Kai Zacharides, Direktor Human Resources bei Ernst & Young. Vorgesetzte, die es noch anders gelernt haben, müsse HR dabei unterstützen.
Mitarbeiterführung neu denken!
Auch das Thema Führung wird komplexer: „Der Koordinationsaufwand bei der Führung virtueller Teams, die man tageweise nicht sieht, steigt“, stellt Zacharides fest. „Führungskräfte brauchen dafür neue Qualifikationen.“ Erforderlich sind Disziplin und verlässliche Absprachen statt spontaner Entschlüsse. Feste Zeiten, in denen man seine Mitarbeiter über Neuigkeiten informiert und im Team zusammenkommt, können dafür sorgen, dass der Zusammenhalt nicht verlorengeht.
Außerdem hilfreich: regelmäßige Präsenszeiten, gemeinsame Mittagessen oder Afterwork-Termine. „Es besteht ein Risiko, weil der informelle Kontakt zwischen den Mitarbeitern reduziert ist. Das spontane Gespräch und der Flurfunk fallen aus. Das ist aber wichtig, deshalb muss eine Führungskraft das aktiv und neu organisieren“, so Karsten Schulte-Deußen, Bereichsleiter Befragungen und Berichte bei Great Place to Work in Köln. Wichtig werde die Transparenz: „Wer macht was, wie greift was ineinander, wie lassen sich neue Aufgaben schnell verteilen? In der Arbeitsplanung werden Führungskräfte stärker gefordert.“ Auch hier muss das Personalwesen das Management aufmerksam begleiten und passende Konzepte zur Persönlichkeitsentwicklung anbieten.
Personalentwicklung und Weiterbildung in einer flexiblen Arbeitswelt
Wobei auch das Thema Personalentwicklung und Weiterbildung von der Flexibilisierung betroffen sein wird. Schon heute lösen Blended-Learning-Methoden das klassische Seminar ab. Online lernen, wann, wo und wie lange man möchte, wird sich mit der Flexibilisierung weiter durchsetzen. Direkt daran anknüpfend: das Wissensmanagement. Hier bietet Heimarbeit große Chancen: „Bisher konzentriert sich Wissen oft noch auf einzelne Mitarbeiter, die dadurch unentbehrlich werden. Dies können sich Unternehmen mit zunehmender Flexibilisierung nicht mehr leisten“, sagt Schulte-Deußen.
Denkbar sind in virtuellen Teams Mitarbeiter, die Podcasts produzieren und den Kollegen zugänglich machen, informelle Peer-to-peer-Schulungen und natürlich Unternehmenswikis – unter der Voraussetzung, es kümmert sich jemand darum und hält den Informationsbestand aktuell. Datenbanken könnten sich verwandeln in umfangreiche Wissensspeicher, eine firmeneigene Online-Bibliothek hätte sogar den Vorteil, Fachliteratur gleichzeitig einer großen Personengruppe zugänglich zu machen.
Und der Datenschutz…?
Besondere Aufmerksamkeit muss HR der IT und dem Datenschutz schenken. Den Mitarbeiter eine simple Datenschutzerklärung unterschreiben lassen und sich darauf verlassen, dass schon alles gut geht – das wird in Zukunft nicht genügen. Neue Spielregeln müssen formuliert und durchgesetzt werden.
Kai Zacharides fallen sofort mehrere Punkte ein, auf die HR die neuen Heimarbeiter einschwören muss: Arbeiten nur am Firmenlaptop, nur über eine gesicherte WLAN-Verbindungen online Gehen, ausschließliches Benutzen des Firmenhandys und Wegschließen des Computers, wenn man seinen Schreibtisch daheim verlässt. „Sinnvoll sind auch Merkblätter, Checklisten und spezielle Datenschutzschulungen. Mitarbeiter müssen für das Thema sensibilisiert werden.“ So gut wie vom Tisch ist damit der Trend „Bring your own Devices“, das Verwenden privater Tablets oder Smartphones bei der Arbeit. Schon allein die Tatsache, dass Geräte, die man auch in der Kneipe oder im Kino dabei hat, leicht gestohlen werden oder verloren gehen können, macht diese Vorgehensweise zu einem No-Go.
Arbeitsrechtliche Regularien
Ähnlich verantwortungsvoll muss Human Resources mit dem Arbeitsschutz umgehen. Regeln, die gesetzlich vorgeschrieben sind oder Teil einer Betriebsvereinbarung, müssen Anwendung finden – ganz gleich, ob der Mitarbeiter seiner Aufgabe nun im Betrieb oder Home-Office nachgeht. Auch die Arbeitsgesetze und Vorschriften zu Arbeitszeiten behalten ihre Gültigkeit. Der Mitarbeiter ist eine Nachteule und zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens am Produktivesten? Mag sein, aber wenn er am nächsten Tag wieder um sieben Uhr am Schreibtisch sitzt und damit die Ruhezeit nicht einhält, steht letztlich das Unternehmen in der Verantwortung. Das Personalwesen muss hier Lösungen finden, die sowohl dem Gesetzgeber als auch den Bedürfnissen von Mitarbeiter und Betrieb gerecht werden.
Immerhin die Mitarbeiterbindung ist in der flexiblen Arbeitswelt – fast – ein Selbstläufer. Natürlich muss die Führungskraft die Beziehung aktiv gestalten und im Dialog bleiben. Aber letztlich motiviert es Mitarbeiter, wenn sie zumindest teilweise daheim arbeiten dürfen. Karsten Schulte-Deußen jedenfalls hat keine Bedenken: „Zahlreiche Arbeitnehmer sind interessiert am Modell Home-Office. Indem Unternehmen ihnen hier entgegenkommen, fördern sie auch deren Loyalität.“ Der Erfolg der Flexibilisierung wird auch davon abhängen, wie man die Mitarbeiter in die Veränderungsprozesse einbindet: „Es kommt insgesamt darauf an, dass Home-Office-Angebote bedarfsgerecht und im Austausch mit den Beschäftigten entwickelt werden“, so Schulte-Deußen.