Ist das Arbeitszeugnis ein Auslaufmodell?

Zu ungenau, zu viele Fehler: Studien zufolge nimmt die Aussagekraft von Arbeitszeugnissen ab. Längst nehmen sie für Personaler:innen nicht mehr den Stellenwert ein wie Bewerbende vermuten mögen. Sind die Dokumente in Bewerbungsmappen vielleicht sogar überflüssig?
Wohlwollend sollen die Formulierungen im Arbeitszeugnis klingen. Darauf haben Arbeitnehmer:innen einen gesetzlichen Anspruch. Doch was wie ein Vorteil klingt, ist oft Gegenstand strittiger Kontroversen. Jährlich werden allein wegen Arbeitszeugnissen tausende Prozesse vor Gericht ausgefochten.
Klagen häufen sich
Dabei ziehen Unternehmen in der Regel den Kürzeren. „Ich rate Mandanten, Emotionen besser aus dem Spiel zu lassen”, sagt Tobias Neufeld, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Taylor Wessing in Düsseldorf. Im Zweifel sollten Arbeitgeber:innen dem Mitarbeiter lieber „im Rahmen der Wahrheitspflicht” nachgeben, um teure Verfahren zu vermeiden.
Doch es ist nicht bloß die Angst, von ehemaligen Beschäftigten vor den Kadi gezogen zu werden, die Personaler:innen umtreibt. Viele sind sich auch einig, dass der Stellenwert des Zeugnisses deutlich eingebüßt hat. Bei der Beurteilung eingehender Bewerbungen rückt das Zeugnis in der Prioritätenskala nach hinten. „Nach meiner Erfahrung”, sagt Simona Flemming, Personaldirektor in der Hauptverwaltung der Targobank in Düsseldorf, „hat das Zeugnis für den Arbeitnehmer noch einen viel höheren Stellenwert als für uns Personaler:innen.”
Anschreiben und Lebenslauf sind das A und O
Bei der Beurteilung von Bewerbungen spielen für Flemming der Lebenslauf und das Anschreiben schlicht die größere Rolle. Das Arbeitszeugnis wird überwiegend zur Überprüfung der beruflichen Stationen herangezogen: „Ist der Lebenslauf lückenlos? War der Kandidat tatsächlich bei einem Arbeitgeber, wie angegeben?”
Ähnlich sieht man es bei Vodafone, wie die Targobank ebenfalls in Düsseldorf ansässig. Die Personaler:innen interessiert, was ein:e Bewerber:in in seinem/ihrem Job getan hat und wie seine/ihre Leistung beurteilt wurde. „Wichtig ist uns das Gesamtbild, das ein Bewerber liefert. Das Zeugnis ist hierbei nur ein Baustein”, erklärt Ralf Petermann, HR-Manager des Telekommunikationsunternehmens.
Nachlassende Sorgfalt, nachlassende Aussagekraft
Dass Zeugnisse an Bedeutung verlieren, liegt an ihrer nachlassenden Aussagekraft. Studien zufolge hat sich die Bereitschaft der Firmen, immer bessere Beurteilungen abzugeben, in den letzten Jahren deutlich erhöht. „Seit 1995″, bilanziert Holger Münch von der Berliner Personalberatung PMS, „hat sich der Anteil der sehr guten Benotungen verdreifacht, der befriedigender Beurteilungen hingegen halbiert.”
Ein weiteres Manko sei die Nachlässigkeit, wie Arbeitgeber:innen Dokumente ausstellen. Gefälligkeitszeugnisse, von Mitarbeitern selbst geschrieben und vor Formfehler strotzend, seien keine Ausnahme. Oft seien sie in schlechtem Deutsch und grammatikalisch fehlerhaft verfasst.
Einsatz spezieller Zeugnissoftware
Um auf der sicheren Seite zu sein, haben viele Firmen deshalb die Erstellung von Zeugnissen formalisiert, bisweilen durch Einsatz von speziellen Softwareprogrammen sogar automatisiert. Wichtig ist ihnen, den eingebürgerten Zeugniscode zweifelsfrei zu verwenden. „Mit dem Prozess der Zeugniserstellung sorgen wir für eine einheitliche Zeugnissprache, die genau zwischen ‘gut’ und ‘sehr gut’, zwischen ‘voller’ und ‘vollster’ Zufriedenheit nuanciert”, so Petermann. „Nach Benotung durch den Vorgesetzten gibt die Software die richtigen Formulierungen aus.”
Beim Kerpener IT-Dienstleister Computacenter werden Abschlusszeugnisse intranetbasiert erstellt. Keine Führungskraft muss um Formulierungen ringen, sondern lediglich eine Beurteilung nach festgelegten Kriterien eingeben. „Dabei orientieren wir uns am Zeugniscode”, sagt Recruitingleiter Thomas Leibfried. “Nicht weil wir ihn für besonders gelungen halten, sondern allein, weil er schlicht erwartet wird.”
Es bleibt ein zentrales Instrument der Bewertung
Bei der Rüsselsheimer Ingenieurfirma Tecosim entstammen Stellenbeschreibung und Tätigkeiten den Personalakten, während der Vorgesetzte Leistung und Verhalten des Mitarbeiters auf einer Skala von eins bis sechs bewertet. „Geschrieben wird das Zeugnis von der Personalabteilung”, sagt Personalleiterin Sandra Bonow. Ihr ist nicht nur eine im Zeugnis vergebene zusammenfassende Note wichtig. „Ferner verweisen wir auch auf eine zentrale Stärke des Beschäftigten.”
Man kann es drehen und wenden: Das Arbeitszeugnis ist für Personaler zwar nach wie vor eine zentrales Instrument, um Bewerber:innen einzuschätzen und Ex-Beschäftigte zu beurteilen. Doch man wird das Gefühl nicht los, manch einer wäre das lästige Anhängsel am liebsten wieder los.
Empfehlungsschreiben – eine gute Alternative?
Als mögliche Alternative wird das persönliche Empfehlungsschreiben gehandelt, das in vielen Ländern Standard ist. Kritiker meinen, es hätte deutlich höhere Aussagekraft, zumal es freiwillig vom Vorgesetzten erstellt würde.
Personalberater:innen regen an, das Empfehlungsschreiben mit einer qualifizierten neutralen Tätigkeitsbeschreibung zu verknüpfen, um der gesetzlichen Vorgaben zur Bescheinigung einer Arbeit zu genügen.
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