Recruiting 4.0: Lost in Unternehmen 1.0

Ob Personaler ihre Arbeit als angenehm empfinden und ihr optimal nachgehen können, hängt vor allem von den Rahmenbedingungen ab, die ihr Arbeitgeber ihnen bietet. Aber wie zufrieden sind HR-Fachleute wirklich? Wie ist es also um die Recruiter Experience bestellt?

Von Tatjana Krieger

Viel wird dieser Tage von der Candidate Experience gesprochen. Wie man es dem Bewerber im Jobinterview nett macht, wie weit man ihm entgegenkommen soll, wie schnell er auf eine Reaktionen hoffen darf. Vergessen wird dabei: Auch auf der anderen Seite des Schreibtisches sitzen keine HR-Roboter, sondern Menschen, die auf eine zu ihnen passende Umgebung angewiesen sind, damit sie ihren Job gut machen können. Es ist also Zeit, auf die Bedürfnisse der Recruiter einzugehen.

Recruiting 4.0: Die Erfahrung muss stimmen

Einen ersten Ansatzpunkt, wie sich die Recruiter Experience verbessern ließe, liefert eine Umfrage, welche die HR Tech Beraterin Eva Zils aus Straßburg Anfang des Jahres initiierte. Welche der Wünsche, so lautete die Fragestellung, müssten für eine optimale Personalarbeit erfüllt werden? Begriffe, die immer wieder fielen: Zeit, Budget, Mut, Flexibilität, Ressourcen, Unterstützung, Software.

Wenn Personaler eine Performance im Sinne ihres Arbeitgebers abliefern sollen, benötigen sie also den vollen Rückhalt des Managements, die notwendigen finanziellen Rahmenbedingungen, eine Unternehmenskultur, die nicht konterkariert, was HR mit teuren Employer-Branding-Kampagnen vermittelt – und vor allem die Einsicht, dass der demografische Wandel sowie der Fachkräftemangel in einzelnen Brachen und Berufen eine neue Vorgehensweise in der Personalbeschaffung erfordern.

Dass die Realität von diesem Ideal noch weit entfernt ist, erklärt stellvertretend Barbara Baum, die in einem mittelständischen Betrieb in Sachsen-Anhalt für das Recruiting zuständig ist. „Ich beschäftige mich auch privat mit HR-Themen und sehe mich als Recruiterin der nächsten Generation, die in einem Unternehmen 1.0 gefangen ist“, erklärt die junge Frau, die in Wahrheit anders heißt, und ihren Namen aus Loyalität ihrem Arbeitgeber gegenüber nicht nennen möchte.

Recruiting 4.0: Gefangen im Unternehmen 1.0

Was ihr zu schaffen macht: „Die Priorität im Haus liegt immer beim Tagesgeschäft und bei der Innenwirkung. Ich wünsche mir aber größere Investitionen in die Außenwirkung.“ Derzeit kann sie mit den herkömmlichen Instrumenten, wie etwa der klassischen Stellenanzeige, noch alle offenen Stellen besetzen. „In der Tendenz nehmen Bewerbungen in ihrer Qualität und Quantität aber ab“, sagt sie. Transparenz, Geschwindigkeit und damit auch die Candidate Experience bleiben bei der überkommenen Personalarbeit oft auf der Strecke.

Gleichzeitig hat sie es immer noch mit Fachabteilungen zu tun, die HR als Erfüllungsgehilfen der eigenen Mannschaft betrachten „Ich kann aber nur ein guter Sparringspartner für die Fachbereiche sein, wenn ich rechtzeitig strategisch eingebunden werde, etwa bei der Wahl der Ausschreibungsform oder durch gemeinsames Vorbereiten der Stellenausschreibung“, so Baum. Wer mit ihr bereits zusammengearbeitet hat, wertschätzt es, wie viel Arbeit ein professionelles Recruiting dem Fachvorgesetzten abnehmen kann. Andere fürchten den Kontrollverlust.

Wäre zudem der hauseigene Bewerberpool bei den Fachbereichen besser akzeptiert, könnte sie öfter sondieren, welche Bewerber bereits Interesse am Unternehmen signalisiert haben. „Stattdessen müssen wir einhundert Absagen schreiben. Das kostet Zeit, die anderswo wieder fehlt.“ Überhaupt die IT bereitet ihr Kopfzerbrechen: „Wir sind dabei, ein elektronisches Bewerbungsmanagementsystem einzuführen. Aber das Projekt wird immer wieder geschoben, wenn etwas anderes ansteht. Also immer.“

Recruiting 4.0: Unmöglich, wenn moderne Medien ausgesperrt werden

Internetseiten wie Xing sind vom Firmenrechner ausgesperrt. „Alles, was auch nur nach Social Media riecht, da kommen wir nicht drauf“, so Baum. Für die Beziehungspflege mit Kandidaten opfert die Personalerin derzeit ihren Feierabend und benutzt dafür ihren privaten Account. Optimale Arbeitsbedingungen sehen anders aus.

Was Baum hier stellvertretend beschreibt, trifft auf viele Personalabteilungen zu. Zum Beispiel müssen viele Personaler Bewerberdaten noch manuell erfassen und verschwenden dabei viel Zeit. In HR-Abteilungen existierende Systeme machen es heute oft nicht möglich, diese Daten zu durchsuchen. Dabei gibt es bereits Lösungen, die hier viel Arbeit abnehmen. In Bewerbermanagement Lösungen können Kandidaten ihre Daten beispielsweise selbst einstellen oder per PDF bereitstellen.

Recruiting 4.0: Skepsis gegenüber neuen Technologien

Was so praktisch klingt, stößt in der Realität oft noch auf Skepsis: Das Management aber auch das Personalwesen tun sich schwer mit dem Umdenken. Das klassische Vorgehen, eine Anzeige zu schalten und dann abzuwarten, hält sich hartnäckig. Das liegt auch an übertriebener Sparsamkeit: Geld wird oft erst bei einem Engpass und dann für kurzfristige Lösungen ausgegeben. Zum Beispiel für einen Headhunter, der dann tut, was die eigene Personalabteilung besser und für das Unternehmen billiger tun könnte – wenn sie denn die geeigneten Instrumente hätte.

Wie es anders und erfolgreicher funktionieren kann, zeigt die Firma BFFT in Gaimersheim bei Ingolstadt. Der Fahrzeugtechnik-Hersteller gilt unter HR-Fachleuten als Paradebeispiel für eine ideale Recruiter Experience. Vor einigen Jahren wurde die Personalbeschaffung als Start-up ausgegliedert und das Recruiting radikal auf den Kopf gestellt. „Heute gehört die Abteilung wieder der Firmenmutter an, ist aber direkt beim CEO aufgehängt und berichtet auch nur an ihn“, sagt Recruiting-Chef Tobias Ortner. Sein Team hat genug Budget, entscheidet alles selbst, erfährt maximale Unterstützung von Geschäftsführung und Fachabteilungen und bildet sich permanent weiter. Trainings in Kommunikationspsychologie und neuer Technologien sind für die Recruiter von BFFT selbstverständlich.

„Auf diese Weise treten wir beim Active Sourcing mit Kandidaten in Kontakt, an die andere Firmen definitiv nicht herankommen“, so Ortner. Was sich aus dieser Handlungsfreiheit ergibt: eine hohe Entscheidungsgeschwindigkeit,  Transparenz für den Bewerber, geringe Streuverluste beim Budget, weil es dort eingesetzt wird, wo es die besten Ergebnisse erzielt, und eine geringe Fluktuation. In neun Jahren, so Ortner, sei das Unternehmen so von 88 auf 800 Mitarbeiter gewachsen – und zwar ohne Unterstützung externe Recruiter.

Von solchen Arbeitsbedingungen kann Barbara Baum aus Sachsen-Anhalt nur träumen. Auf die Frage, ob sie sich eine weitere Zukunft bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber vorstellen kann, antwortet sie prompt: „Definitiv nein.“ Auf diese Weise könnten gerade Unternehmen, die engagierte Recruiter am dringendsten brauchen, ihre besten Leute im Personalwesen verlieren – wenn sie die Recruiter Experience nicht endlich auf ihre Agenda mit den internen Unternehmenszielen setzen.