Unternehmenskultur: So schaffen Sie Werte

In der Struktur eines Unternehmens spiegelt sich dessen Kultur wider. Das berücksichtigen viele Manager nicht ausreichend beim Planen größerer Change-Vorhaben. Außerdem unterschätzen sie oft den Einfluss der sogenannten „softs facts“ auf solche „hard facts“ wie den Umsatz und Ertrag.
Von Michael Schwartz
Wie kann man Sie charakterisieren? Allein mit Daten wie 42 Jahre alt, 1,82 Meter groß, blondes Haar? Gewiss nicht! Ähnlich verhält es sich bei Unternehmen. Sie lassen sich zwar mit solchen „hard facts“ wie Branche, Mitarbeiterzahl und Umsatz beschreiben, doch nicht charakterisieren. Und schon gar nicht sagen diese Daten etwas darüber aus, wie eine Firma „tickt“. Hierfür muss man die Kultur des Unternehmens kennen.
Das wissen die meisten Unternehmensführer. Trotzdem unterschätzen sie oft, welche Chancen, aber auch Risiken, in den sogenannten „soft facts“ für das Erreichen der Ziele schlummern. Eine hoch motivierte Mannschaft kann zum Beispiel (scheinbar) Unmögliches erreichen. Eine Belegschaft hingegen, die innerlich gekündigt hat, führt mittelfristig auch ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen in den Ruin.
Erfolgsfaktor und kein „Sozial-Getue“
Trotzdem befassen sich viele Unternehmensführer ungern mit den „soft facts“. Zum einen, weil sich diese Erfolgsfaktoren schwieriger als der Umsatz mit Kennzahlen erfassen lassen. Zum anderen tun sie Kulturfragen oft als „Sozial-Getue“ ab, das viel Zeit und Geld kostet.
Eine Ursache hierfür ist: In der öffentlichen Debatte wird das Thema Unternehmenskultur häufig auf das Hegen und Pflegen der Mitarbeiter reduziert. Letztlich geht es aber um tiefer greifende Fragen. Zum Beispiel darum:
• Von welchen Normen lassen sich die Mitarbeiter und Führungskräfte bei ihrer Arbeit leiten?
• Von welchen Grundeinstellungen ist die Zusammenarbeit geprägt?
• Denken die Mitarbeiter „Was mein Kollege tut, geht mich nichts an“ oder handeln sie nach der Maxime: „Wir sind ein Team. Also müssen wir kooperieren“?
Kulturveränderungen erfordern Zeit
Viele Unternehmensführer sind zudem überzeugt: Die Kultur eines Unternehmens lässt sich nur mit einem hohen Energieaufwand verändern. Also verzichten sie im Alltag ganz auf einen entsprechenden Versuch, weil es nach ihrer Auffassung stets „Wichtigeres“ und „Dringlicheres“ zu tun gibt. Diese Haltung ist verständlich. Denn es dauert seine Zeit, zum Beispiel aus einem behördenähnlich agierenden Unternehmen einen kundenorientierten Dienstleister zu machen.
Drei bis fünf Jahre muss man hierfür bei grösseren Organisationen einkalkulieren. Denn um einen solchen Turnaround zu vollziehen, genügt es nicht, die Strukturen zu verändern. Das Unternehmen muss auch neue Formen der Zusammenarbeit wie zum Beispiel eine „hierarchiearme“ Projektarbeit fördern. Zudem müssen die Mitarbeiter neue Denk- und Handlungsmuster und -routinen entwickeln. Das erfordert Zeit.
Dran bleiben und Konsequenz zeigen
Nicht selten scheitert der Versuch, die Kultur zu verändern. Eine häufige Ursache hierfür ist: Die Unternehmensführer formulieren zwar Ziele, doch kaum sind sie verkündet, wenden sie sich anderen Dingen zu. Und die Aufgabe, die für die Veränderung nötigen Maßnahmen einzuleiten und umzusetzen? Diese delegieren sie an eine junge Führungskraft, die sich bewähren soll, oder eine Stabsabteilung. Bei einem solchen Vorgehen kommt bei den Mitarbeitern die Botschaft an: Allzu wichtig kann das Ganze für unsere Chefs nicht sein, sonst würden sie sich selbst darum kümmern.
Fatal wird dieses Signal, wenn die Unternehmensführung zudem in der Folgezeit widersprüchliche Botschaften an die Mitarbeiter sendet. Hierfür drei Beispiele:
• Der Vorstand eines Unternehmens verkündet „Wir wollen die Nummer 1 in Sachen Kundenorientierung werden“; die Leistung der Bereiche misst er aber weiterhin rein am Ertrag.
• Ein Vertriebsleiter propagiert ein aktives Verkaufen. Er kontrolliert aber nicht, ob seine Mitarbeiter Angebote nachfassen.
• Ein Bereichsleiter verkündet „Wir führen in jedem Quartal ein Mitarbeitergespräch, weil dies wichtig ist“. Doch wenn diese anstehen, verschiebt er sie regelmäßig.
Wenn Unternehmensführer einen kulturellen Wandel wünschen, müssen sie dies durch ihr Verhalten dokumentieren. Sie müssen ihren Mitarbeitern die „neue“ Kultur vorleben.
Die richtigen Signale senden
Hilfreich beim Ermitteln der Kultur einer Organisation ist es unter anderem, sich zu fragen:
• Wie werden die Mitarbeiter primär motiviert? Über Provisionen, Anerkennung, Druck, Information, Partizipation?
• Nach welchen Kriterien werden Mitarbeiter ausgewählt und befördert?
• Wie ist der Umgang der Mitarbeiter untereinander?
• Wie flexibel und „problemadäquat“ ist die Zusammenarbeit? Wie konsequent werden Vorhaben umgesetzt? Wie wird auf Zielabweichungen reagiert?
• Was wissen die Mitarbeiter über die Kunden und wie behandeln sie diese? Wie Bittsteller, Auftraggeber oder Partner?
• Was ist in dem Unternehmen/Bereich tabu?
Drei Ebenen der Unternehmenskultur
Der Organisationspsychologe Edgar Schein unterscheidet drei Ebenen der Unternehmenskultur:
• Sichtbare, aber interpretationsbedürftige Symbole: Ist die Architektur modern oder klassisch? Werden Großraum- oder Einzelbüros bevorzugt? Wie kleiden sich die Mitarbeiter? Wie ist der Umgangston? Wie präsentiert sich das Unternehmen nach außen?
• Teilweise unsichtbare Normen: Gibt es Leitlinien oder eine formulierte Vision? Wird diese im Alltag gelebt? Wie ist die Einstellung zu den Mitarbeitern? Werden sie eher zu gegenseitigem Verständnis oder zu Konkurrenzverhalten ermutigt? Sollen sie eher selbstständig arbeiten oder haben sie kaum Entscheidungsspielräume?
• Unsichtbare, meist unbewusste Basisannahmen: selbstverständliche Annahmen, die nicht hinterfragt werden. Sind die Menschen grundsätzlich eher gut oder schlecht? Welche Rolle spielt die Arbeit im Leben eines Menschen?
All diese Faktoren zu erfassen, erscheint auf den ersten Blick aufwändig – und ist zuweilen übertrieben. Trotzdem ist eine fundierte Kulturanalyse wichtig. Das zeigt sich unter anderem darin, wie häufig in Unternehmen Projekte gestartet oder Umstrukturierungen vollzogen werden, ohne dass sich die erhofften Effekte einstellen. Eine häufige Ursache hierfür ist: In der Planungsphase wurde nicht ausreichend beachtet, dass sich in der Struktur eines Unternehmens dessen Kultur widerspiegelt. Deshalb setzen Strukturveränderungen, damit sie wirksam werden, meist auch eine Kulturveränderung voraus. Dasselbe gilt, wenn die strategischen Ziele sich ändern.
Den Veränderungsprozess gezielt steuern
Unternehmensführer sollten daher, bevor sie in ihrer Organisation größere Veränderungsprojekte initiieren, analysieren, wie diese tickt. Denn nur dann kann der Change-Prozess so gestaltet werden, dass er nicht nur auf dem Papier, sondern auch real gelingt. Hinzu kommt: Zum Steuern eines Change-Prozesses benötigt man Parameter, aus denen sich ablesen lässt: Hat sich etwas verändert? Befinden wir uns noch auf dem richtigen Weg? Deshalb führen Unternehmen bei größeren Change-Vorhaben oft nach der ersten Kulturanalyse im Ein-, Zwei-Jahres-Rhythmus (abgespeckte) Folgeanalysen durch – beispielsweise in Form von Mitarbeiter- und Kundenbefragungen.
Diese Analysen haben auch die Funktion, Veränderungen sichtbar zu machen. Denn gerade weil Kulturveränderungen so lange dauern, haben die Beteiligten zuweilen das Gefühl: „Es bewegt sich nichts.“ Deshalb sollten auch kleine Fortschritte wahrgenommen und gewürdigt werden, damit die Beteiligten nicht resignieren, sondern mutig weiter voran schreiten.